Die Liebe ist geduldig und gütig
Der Valentinstag gilt als der Tag der Liebenden. Er ist heftig umstritten, weil ihn die einen als reinen Kommerz sehen und andere als den Tag der Liebe. Wie auch immer man zum Valentinstag steht, ist er doch ein guter Anlass, über die Liebe nachzudenken.
Wie so viele Trends kam auch der Valentinstag aus Amerika. US-Soldaten brachten ihn nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland. Zurück geht der Valentinstag der Legende nach auf den heiligen Valentin, der am 14. Februar 269 hingerichtet werden sollte, weil er trotz Verbot Paare christlich getraut habe. Angeblich habe er den Paaren Blumen aus seinem Garten geschenkt. Vielleicht behaupten letzteres aber auch nur die Floristen. Wie auch immer, ich gönne den Floristen das Geschäft und freue mich selbst gerade jetzt über die ersten Frühlingsblumen im Winter, die mir mein Mann mitgebracht hat.
Ich habe mir Gedanken über die Liebe gemacht und gemerkt, wie vielfältig und komplex dieses Thema tatsächlich ist. Mit dieser Erkenntnis bin ich nicht allein. Liebe ist der Stoff von vielzähligen Filmen, Romanen und Geschichten. Dabei geht es die ganze Bandbreite der Liebe. Sie kann erwidert werden oder nicht. Sie kann Menschen in einen Zustand vollkommenen Glücks versetzen oder ins Unglück stürzen. Sie hat eine große Kraft, die verbinden oder zerstören kann.
Mir wurde jedoch auch bewusst, wie klar und einfach die Liebe beschrieben werden kann: Die Liebe ist geduldig und sie ist gütig – so steht es im Hohelied der Liebe, das bei unzähligen Trauungen zitiert wurde. Geduld zu üben wird in unserer schnelllebigen Zeit immer schwieriger. Deshalb fordere ich mit diesem Text etwas Geduld, denn er ist sehr lang. Gleichzeitig geht es hier auch um viel Gutes, das man entdecken kann. Vielleicht ist dies hier eine gute Übung Ihrer Geduld und liebevollen Güte.
Die Liebe ist die Grundlage für unsere Existenz
Wir Menschen sind soziale Wesen, die ohne die Beziehung mit anderen Menschen gar nicht existieren könnten. Wir wären schon längst ausgestorben, wenn wir uns nicht fortpflanzen würden. Wir hätten als Spezies ohne Kooperation mit anderen Menschen nicht überlebt. Es ist ein menschliches Bedürfnis, Gemeinschaft und Nähe zu anderen Menschen zu erleben. Wir wollen uns zugehörig fühlen, Teil einer Gemeinschaft sein – egal ob einer Nation, Glaubensgemeinschaft, Verein oder Familie. Ohne Liebe gäbe es uns nicht.
Die Liebe ist vielfältig
Es gibt verschiedene Arten der Liebe: nicht nur die erotische Liebe, die Liebe zwischen zwei Menschen, sondern auch die elterliche Liebe, die Nächstenliebe, die Liebe zu Tieren, zu Orten und die Selbstliebe. Zudem gibt es verschieden Stadien der Liebe: von der losen Beziehung, sich Verlieben, der tiefen Zuneigung, starker Bindung. Liebe ist eine Haltung, eine Tätigkeit und Fähigkeit, in die man sich hinein entwickelt, hat Erich Fromm in seinem Standardwerk „Die Kunst des Liebens“ gesagt. Dabei sei lieben wichtiger als geliebt zu werden. Seine zeitlose Botschaft: Wer wirklich lieben möchte, muss sich vor allem in Achtsamkeit, Demut und Geduld üben.
Die Liebe ist ein komplexes Gefühl
Je nach Stadion und Art der Liebe entstehen mehr oder weniger starke Gefühle, die durch unterschiedliche biochemische Prozesse erklärt werden können. Während bei frisch Verliebten das Glückshormon Dopamin eine Rolle spielt, wird bei langfristigen Liebesbeziehungen oder Eltern-Kind-Beziehungen eher das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet. Gefühle sind komplex und flüchtig, d.h. sie ändern sich. Sie sind eng verbunden mit dem, was wir denken und wie wir etwas bewerten.
Die Liebe ist auch eine Entscheidung
Wir sind weder unseren Gedanken noch unseren Gefühlen hilflos ausgeliefert. Wenn wir eine Beziehung mit jemanden eingehen, ist das eine Entscheidung. Entscheidungen werden meistens unter Unsicherheit getroffen. Nicht umsonst heißt es auch Trauung, d.h. da trauen sich zwei Menschen etwas zu. Zu jeder Entscheidung gehört auch Vertrauen – auch das steckt in dem Wort Trauung. Wenn ich mich getraut habe, dann ist eine Ehe kein Selbstläufer. Ich weiß das aus Erfahrung. Ich bin seit über 40 Jahren glücklich verheiratet – mit demselben Mann.
Die Liebe ist Beziehungsarbeit
Liebe ist die Basis für eine gute Beziehungsarbeit. Ich habe die Traurede meines Großvaters, der Bauer, Künstler, Bürgermeister und Winzer war, nie vergessen. Er hat damals gesagt, dass eine Ehe wie ein junger Rebstock ist. Er muss gehegt und gepflegt werden, damit er stark wird. Nur so kann er die Stürme des Lebens überstehen und wird seine Wurzeln immer tiefer in die Erde graben. Es wird schönes und schlechtes Wetter geben, Perioden der Trockenheit und der Nässe, gute und schlechte Jahre. Liebe ist geduldig und akzeptiert, wie es ist – in dem Wissen, dass es im nächsten Moment anders sein wird. Vielleicht hat Erich Fromm das mit Achtsamkeit, Demut und Geduld als Voraussetzungen für wirkliche Liebe gemeint.
Die Liebe macht nicht blind
Wenn wir verliebt sind, dann ist unsere Wahrnehmung extrem getrübt. In diesem Stadium kann es schon vorkommen, dass die Verliebtheit blind macht. Wahre Liebe jedoch macht nicht blind, sondern öffnet die Augen. Wie sagt der kleine Prinz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Wer wirklich liebt, bewertet nicht, sondern akzeptiert die andere Person so wie sie ist. Vielleicht ist sie manchmal nicht mit deren Verhalten einverstanden, doch sie stellt nie die Person an sich in Frage. Liebe ist geduldig, urteilt nicht und akzeptiert, wie es ist. Alles darf sein, die Vernunft, die Berechnung, die Angst, die Einsicht…und doch ist es, was es ist. Wie in dem schönen Text von Erich Fried:
Es ist was es ist
„Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist was es ist, sagt die Liebe.
Es ist Unglück. sagt die Berechnung.
Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst.
Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.
Es ist was es ist, sagt die Liebe.
Es ist lächerlich, sagt der Stolz.
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.
Es ist was es ist, sagt die Liebe
Ohne Liebe ist alles nichts
Ein Text über die Liebe geht nicht ohne die Erwähnung des Hohelieds der Liebe von Paulus aus dem 1. Brief an die Korinther. Darin meint Paulus, dass ohne Liebe nichts einen wirklichen Wert hat. Er beschreibt die Liebe mit zwei göttlichen Qualitäten: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig.“
Langmut bedeutet Geduld zu haben, nachsichtig zu sein, verstehen und verzeihen zu können. Es bedeutet auch, einiges auszuhalten und durchzuhalten. Nicht gleich wegzurennen, wenn es schwierig wird. Kritik auch auszuhalten. Die Güte ist eine freundliche, wohlwollende Haltung, man spricht manchmal auch von Herzensgüte, weil gütige Menschen Herzenswärme ausstrahlen. Wer gütig ist, sieht das Gute in anderen Menschen. Er sieht, was ihn liebensvoll und wertvoll macht und drückt dies auch aus. Zur Güte gehören auch Nachsicht, Liebenswürdigkeit, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit.
Die Liebe ist langmütig und gütig – und sie ist ehrlich, denn sie freut sich an der Wahrheit. Durch die Liebe erkennen wir, dass wir mit uns und allem verbunden sind. Ich, du und wir – die Liebe stiftet diesen Zusammenhang. Liebe ist der Gegenentwurf zu Egoismus, Gier, Kälte, Unrecht, Konkurrenzdenken, Wut, Schadenfreude und Gewalt. Davon gibt es früher wie heute genug in unserer Welt.
Liebe ist auch Selbstliebe
„Liebe ist nur da, wo sie gelebt und erlebt wird. Sie hat täglich ihren Preis. Schales Salz ist ohne Wert! Sinn des Lichtes ist zu leuchten – stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel!“ Diese Worte hat der Pfarrer uns ins Stammbuch geschrieben und er prägt unsere Beziehung bis heute. Die Liebe ist nicht etwas Selbstverständliches. Sie muss täglich gelebt und erlebt werden. Sie ist nicht statisch, sondern dynamisch – und hat täglich ihren Preis. Es geht darum, seine Kraft einzubringen und sich nicht auslaugen zu lassen. Nicht zuzulassen, dass es nur noch um das Funktionieren und Belangloses geht. In einer Beziehung ist es wichtig, miteinander über Bedeutsames zu sprechen, für seine Bedürfnisse einzutreten, sein eigenes Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Das verläuft nicht immer störungsfrei. Eine langfristige Beziehung und Liebe kann nur gelingen, wenn man selbst „leuchten“ darf.
Für mich ist Liebe deshalb auch Selbstliebe. Ich glaube, dass es uns leichter fällt, Liebe und Fürsorge zu schenken, wenn wir auch mit uns selbst liebevoll und fürsorglich umgehen. Wie oft verurteilen wir uns selbst, gehen mit uns hart ins Gericht, sind uns selbst nicht genug, stellen unser Licht unter den Scheffel. Lassen wir zu, dass unser Licht leuchten darf - mit seiner ganzen Strahlkraft. Wem das zu viel ist: Vielleicht gelingt es zumindest, uns selbst in den Kreis der Menschen aufzunehmen, denen wir Wohlwollen und Liebe schenken. Mit uns selbst so freundlich und liebevoll umgehen wie mit einem guten Freund oder einer guten Freundin, das ist ein guter Anfang.
Liebe ist noch viel mehr
Ich könnte wahrscheinlich noch stundenlang über die Liebe schreiben, denn sie ist noch so viel mehr. Die bedingungslose Liebe zu Kindern wäre ein eigenes Kapitel. Die Liebe und Achtsamkeit, die Liebe und Respekt, die Liebe und Menschenwürde… es gibt so viele Facetten. Die Liebe schließt Akzeptanz, Freundlichkeit, Fürsorge und Verantwortung ein, sich selbst, anderen und der Gesellschaft gegenüber. Wenn wir alle liebevoller und achtsamer mit uns selbst, mit anderen Menschen, mit allen Lebewesen und unserer Umwelt umgingen, wäre das Leben leichter und die Welt wäre ein freundlicherer Ort. Es wird immer auch die dunkle Seite geben, sonst könnten wir die helle gar nicht wahrnehmen. Und trotzdem kann jeder von uns dazu beitragen, dass die helle Seite in manchen Momenten noch ein kleines bisschen heller ist.
Vielleicht ist der Valentinstag ein Anlass, mal wieder über die Liebe und die eigenen Beziehungen nachzudenken? Vielleicht können wir an diesem Tag uns selbst ganz bewusst liebevoll begegnen, um dann unser Wohlwollen auch auf andere auszudehnen und mehr Freundlichkeit in die Welt tragen. Da reicht manchmal schon eine kleine Geste, ein Lächeln, ein Kompliment – oder anderen gegenüber Geduld zu üben und gütig zu sein. Die Liebe ist langmütig. Die Liebe ist gütig.
Schönen Valentinstag und liebevolle Grüße
Gerda Schneider