Geduld! Alles braucht seine Zeit...
Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier… puhh, vier Wochen warten? Das ist ganz schon lang. Haben wir es verlernt zu warten?
Alles soll schnell gehen, sofort verfügbar sein, Warten ist vergeudete Zeit. Keine Zeit verlieren. Nichts Wichtiges verpassen. Immer online. Die digitale Kommunikation fordert permanente Erreichbarkeit und schnelle Reaktion. Ungeduld ist zur neuen Tugend geworden – wir sind agil, aktiv, anpackend. Wir hetzen von einem Termin zum nächsten. Kein Wunder, dass wir in einer gestressten Gesellschaft leben – und der Stress immer noch mehr zunimmt.
Unser Gehirn braucht Pausen. Entwicklung braucht Zeit. Gut Ding will Weile haben. Das bestätigt auch die moderne Gehirnforschung. Um zu lernen und kreativ zu sein, braucht das Gehirn Zeit. Jeder, der mal ein Musikinstrument gelernt hat, der in einer Sportart zur Meisterschaft gelangen wollte, hat erfahren, dass Geduld und Ausdauer die Grundlage des Erfolgs sind. Jeder Hobbygärtner weiß, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht. Da helfen nur ein guter Samen, gute Bedingungen, der richtige Dünger, die richtige Pflege – und viel Zeit. Ungeduld kann der erste Schritt zum Scheitern sein.
In einer Gesellschaft, in der die Beschleunigung und damit der Stress immer mehr zunehmen, fällt es schwer, Geduld zu üben und sie auch wieder als Tugend zu begreifen. Vielleicht könnten wir wieder lernen, Wartezeiten als geschenkte Zeit zu betrachten. Vielleicht könnte es uns gelingen, mit uns selbst und unseren Mitmenschen mehr Geduld zu haben. Der Entwicklung von Kindern Zeit zu geben. Unserer eigenen Entwicklung Zeit zu geben. Das ist ein Lernfeld, auf das nur wir selbst uns begeben können: Innehalten, sich selbst spüren, die Stille im lärmenden Alltag suchen, sich entspannen, Nichtstun. Auf Distanz zur Hektik des Alltags gehen. Das Handy zur Seite legen, eine gezielte Pause von digitalen Kommunikationsmedien einlegen. Sich einlassen auf das Warten, weil wir gerade dort das Unerwartete finden. Geduldig warten, was auftaucht und alles mit Offenheit und Neugierde betrachten, ohne es zu bewerten.
Geduld ist das Wissen, dass Dinge ihre eigene Zeit brauchen. Es ist die Weisheit, das zu verstehen und zu akzeptieren. Laut Jon Kabat-Zinn, dem Begründer der MBSR-Methode, bedeutet Geduld zu haben, „für jeden Augenblick empfänglich zu sein und ihn in seiner Fülle anzunehmen, zu wissen, dass sich alles entfaltet, wenn der richtige Moment gekommen ist.“ Wenn wir von einem Moment ungeduldig zum nächsten Moment hasten, vergessen wir immer mehr, den jetzigen Moment wahrzunehmen, wertzuschätzen und in seiner Fülle anzunehmen. Wir leben aber nur jetzt - gestern ist vorbei und die Zukunft ist ungewiss. Das ist die Übung der Achtsamkeitspraxis: immer wieder den jetzigen Moment zu beobachten, ohne zu bewerten – und deshalb wirkt sie ausgleichend, stressmindernd und wohltuend. Wenn Sie sich dafür interessieren: Auf meiner Seite www.mbsr-gerdaschneider.de gibt es dazu mehr Informationen und entsprechende Angebote.
Zum Abschied des Jahres 2021 hier ein wunderschönes Gedicht von Veronica A. Shoffstall (After a while):
Nach einer Weile lernst du den feinen Unterschied kennen zwischen dem Halten einer Hand und dem Fesseln einer Seele.
Und du lernst, dass Liebe nicht anlehnen heißt und dass Gesellschaft nicht Sicherheit bedeutet.
Und du lernst, dass Küsse keine Verträge sind und Geschenke keine Versprechen.
Und du beginnst deine Niederlagen zu akzeptieren mit erhobenem Haupt und offenen Augen,
mit der Anmut einer Frau oder eines Mannes, nicht mit dem Kummer eines Kindes.
Und du lernst deine Straßen auf das Heute zu bauen, weil der Boden des Morgen zu unsicher ist für Pläne und Zukünfte manchmal mitten im Flug abstürzen.
Nach einer Weile lernst du, dass selbst Sonnenschein verbrennt, wenn du zu viel davon bekommst.
Deshalb, pflanze deinen eigenen Garten und schmücke deine eigene Seele,
anstatt auf jemanden zu warten, der dir Blumen bringt.
Und du lernst, dass du wirklich durchhalten kannst.
dass du wirklich stark bist, dass du wirklich wertvoll bist.
Und du lernst, und du lernst…
Mit jedem Abschied lernst du.
Nach einer Weile ist das Jahr vorbei und wir nehmen Abschied. Ich habe 2021 gelernt, dass ich wirklich durchhalten kann, mit viel Geduld, Liebe und Dankbarkeit. Ich habe mich auf Neues eingelassen, Altes losgelassen und gelernt, dass ich nichts erzwingen kann. Geduld! Alles im Leben hat seine Zeit und braucht seine Zeit … und das ist gut so.
Ich wünsche Ihnen besinnliche Feiertage mit schönen Momenten im Kreis von lieben Menschen, aber auch mit etwas Zeit für sich. Starten Sie hoffnungsvoll und zuversichtlich in das Jahr 2022 und bleiben Sie gesund.