Weltfrauentag: Embrace Equity

Chancengerechtigkeit ist mir schon immer ein großes Anliegen – und ich gebe zu: manchmal verzweifle ich an diesem Thema. Die Welt ist nicht gerecht und es haben nicht alle die gleichen Chancen.

Kinder aus Familien mit wenig Einkommen haben in der Regel schlechtere Bildungschancen, auch in Deutschland. Viel zu viele Menschen leben in Armut und haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung, sauberem Wasser, ausreichender Nahrung, von Bildung ganz zu schweigen. Weltweit verdienen Frauen immer noch weniger als Männer und arbeiten häufiger in schlecht bezahlten Berufen. Das Gesundheitspersonal ist in der Mehrzahl weiblich und auch unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit für Kinder und Eltern werden meist von Frauen geschultert. Im Durchschnitt arbeiten Frauen oft mehr Stunden als Männer, werden aber für weniger bezahlt. Kochen Putzen, Kinderbetreuung, Pflege bei Krankheit, Unterstützung von nahestehenden Menschen bis zur Altenpflege – das alles ist harte, unbezahlte Arbeit. Vielen Frauen bleibt nichts anderes übrig, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und kürzen damit automatisch ihren Rentenanspruch. Man spricht von einer „Mental-Load“-Falle für Frauen, die dazu führen kann, dass die Verantwortungslast in eine Überlastung mündet und im Burn-out endet. Zudem sind Frauen nach wie vor in politischen Gremien unterrepräsentiert, was zu einer geringeren Teilhabe an Entscheidungsprozessen führt.

Die Frage ist: Was können wir tun?

Zunächst gilt es zu akzeptieren, dass Menschen unterschiedliche Voraussetzungen, Ressourcen und Fähigkeiten haben. Unser Bestreben sollte es sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Chancengerechtigkeit ermöglicht.

Wir sollten mehr in die Bildung investieren: kleinere Klassen, mehr Förderung von benachteiligten Kindern, ein Lehrplan, der Lust am Lernen vermittelt und keinen Druck durch Noten. Gehirngerechtes Lernen, das Freude macht, soziale Fähigkeiten stärkt und Selbstbewusstsein aufbaut. Ausreichende Kita- und Kindergartenplätze, in denen Kinder ihre Kreativität ausleben dürfen und ganz individuell gefördert werden.

Wir sollten die Pflege- und Fürsorgearbeit von Frauen nicht nur schätzen, sondern auch mit einem Wert bemessen. Man könnte an einen Ausgleich in der Rentenkasse denken, an bessere Unterstützungsleistungen bei häuslicher Pflege. Darüber hinaus gilt es, die Rahmenbedingungen auch für professionelles Pflegepersonal zu verbessern.

Wir sollten Frauen weltweit wirtschaftlich stärken: Dazu gehören würdevolle und sichere Arbeitsverhältnisse, gerechte Entlohnung, Teilhabe an Entscheidungsprozessen, Zugang zu Bildung und Programmen zur Unternehmensführung und Selbständigkeit.

Wir sollten Frauen ermutigen, nicht die gesamte Last und Verantwortung in der Familie zu tragen. Familie ist ein Gemeinschaftsprojekt und Frauen sollten lernen, nicht nur Aufgaben, sondern auch Verantwortung abzugeben und zu vertrauen. Männer sollten lernen, Verantwortung zu übernehmen und mitzudenken. Kinder sollten lernen, dass auch sie nach ihren Fähigkeiten im Haushalt ihren Beitrag leisten können. Unternehmen sollten lernen, dass Elternsein Frauen und Männer betrifft und akzeptieren, dass beide ihr Engagement im Unternehmen zugunsten der Familie etwas zurückfahren. So erhalten sie die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihres Personals und tragen zur Chancengerechtigkeit bei. Langfristig führt eine solche Vorgehensweise zu neuen Rollenbildern, die uns als Gesellschaft stärkt und zu mehr Gerechtigkeit führt.

Wir stehen vor vielfältigen Herausforderungen: Klimawandel, Flüchtlingsströme, Digitalisierung, Altersarmut, politische Krisen, u.v.m. Wir brauchen alle Kräfte und eine Vielfalt von Denkweisen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Was wir jedoch im Moment sehen, ist eher eine Rückkehr zu alten Rollenmodellen, ein Wiederaufleben von patriarchalen Mustern und autoritären Regimes. Die Freiheiten von Frauen im Iran und in Afghanistan werden massiv eingeschränkt. In USA wurde das Recht auf Abtreibung geschwächt. Es gibt nach wie vor Frauenhandel, Gewalt gegen Frauen, Genitalverstümmelungen, Zwangsverheiratung, Zwangsprostitution…

Wir sehen, es gibt noch viel zu tun. Die Hälfte der Menschheit ist weiblich und es wäre doch dumm von uns, dieses Potential nicht zu nutzen. Wenn Arme immer ärmer und Reiche immer reicher werden, führt das zu Unfrieden und gefährdet die Demokratie. Kinder sind unsere Zukunft. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass Kinder schlechtere Bildungschancen haben, weil sie mit ungünstigen Voraussetzungen gestartet sind.

Der internationale Weltfrauentag ist für mich deshalb ein wichtiger Tag, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Es ist aber auch ein Tag, Visionen für eine gerechte Welt zu entwickeln. In diesem Bestreben dürfen wir nicht nachlassen. Nur in einer gerechten Welt können alle Menschen ihre Potentiale entfalten. Nur in einer gerechten Welt kann Teilhabe und Demokratie funktionieren. Nur in einer gerechten Welt finden Kooperation, Kreativität, innovative Ideen und Mitgefühl einen guten Nährboden.  

Frauen leisten schon jetzt einen großen Beitrag. Auch ohne „formale“ Macht, haben Sie die Kraft, Dinge zu beeinflussen. Sie leisten viel Gutes: als Frauen, Mütter und Großmütter, als Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen, in Unternehmen, Verwaltungen und sozialen Einrichtungen, im Ehrenamt und in der Pflege und vielem mehr. Sie sind wirksam in der Familie, in Organisationen, in der Gesellschaft und in der Politik. Sie gestalten und setzen ihre Fähigkeiten und Stärken auf vielen Feldern ein. Sie haben ein Recht darauf, dass man ihnen mit Respekt begegnet und ihre Würde achtet. Es sollte selbstverständlich sein, dass sie die gleichen Chancen haben wie Männer – zum Wohle der ganzen Gesellschaft.